Hildegard und ihre Frauenheilkunde

Die heilige Hildegard von Bingen hat mich zuerst durch ihre theologischen Schriften berührt. Durch die räumliche Nähe meines Wohnortes und meiner gynäkologischen Praxis zur Abtei St. Hildegard Rüdesheim-Eibingen und den Wirkstätten der heiligen Kirchenlehrerin konnte ich die Orte oft aufsuchen. Das hat mir geholfen, ihrem Gesamtwerk näher zu kommen.
Später habe ich begonnen, vertieft ihre medizinischen Werke zu studieren mit Hilfe von Kursen. Den Einsatz der Hildegard Heilmittel in meiner Frauenarztpraxis habe ich sehr schätzen gelernt und möchte im Folgenden einen kurzen Einblick geben:

Beginnen möchte ich mit der jungen Mädchengruppe, die unter schmerzhaften Menstruationen leidet. Einige von ihnen haben Probleme damit zu akzeptieren, dass sie sich in der Entwicklungsphase zum Frausein befinden. Nicht wenige müssen sogar immer wieder wegen ihrer Regelschmerzen von der Schule abgeholt werden. Natürlich werde ich dann von ihnen und den besorgten Müttern nach einem Mittel zur schnellen Abhilfe befragt.

Die vermeintliche einfachste Lösung ist der Griff zur Pille. Jedoch kläre ich immer über die nachteiligen Langzeit-Nebenwirkungen auf, wie

  • mögliche Thrombosen und Thromboembolien
  • die Pille als Räuber von Mikronährstoffen, (Vitaminen, Mineralsto en und Spurenelementen)
  • bei Einnahme über 10 Jahre hinaus: erhöhte Brustkrebsgefahr
  • Eingriff in den sensiblen hormonellen Regelkreis mit der Gefahr, sekundärer Amenorrhoen [Ausfall der Menstruation] nach Absetzen der Pille
  • ggf, Stimmungsschwankungen und Libidoverlust

Danach sind manche Mütter und Töchter offen für einfache und hilfreiche Tipps nach Hildegard von Bingen. Zum Beispiel kalte Oberschenkelumschläge.

Hildegard schreibt dazu in Causae et curae=CC 395: „Eine Frau, die zu unrechter Zeit unregelmäßig an starken Monatsblutungen leidet, tauche ein Leintuch in kaltes Wasser und lege es oft um ihre Oberschenkel, um innerlich abzukühlen, damit durch die Kälte des Leintuchs und des kalten Wassers der unrechte Blutfluss zurück gehalten wird.“

Ein weiteres effektives Mittel ist die Mutterkrautsalbe. Zum Mutterkraut schreibt die Heilige in CC 411: „Ein Mensch, der am Stechen leidet, nehme Mutterkraut und zerreibe das kräftig zu Saft und füge etwas Kuhbutter hinzu und reibe sich dort ein, wo er Schmerzen hat, und er wird geheilt werden: die Wärme und die Kraft des Mutterkrautes vertreibt und mildert zusammen mit der Milde der Butter diesen Schmerz.“
Ich rate dazu, die Creme täglich am Unterbauch einzureiben und möglichst schon vor dem Eintreten der Monatsblutung zu beginnen. Es gibt sie u.a. in der Zähringer Apotheke in Konstanz, bei Naturprodukte Hangler in Salzburg oder man macht sie selber. Dazu empfehle ich die Einnahme einer Tablette Weinraute nach dem Essen. Die gelbblühende Raute wächst in vielen Gärten. Roh gegessen wirkt ein Pflanzenblättchen auch gegen Verdauungsprobleme, doch ist der bittere Geschmack gewöhnungsbedürftig.

Schwangere Patientinnen sind sehr offen für die Hildegard Heilkunde.
Ein eindrückliches Erlebnis hatte ich mit einer Schwangeren mit einer schweren Mittelohrentzündung. In der HNO Klinik war ein erheblicher Hörverlust beidseits gemessen worden. Sie sollte daraufhin unter stationären Bedingungen Cortison- und Antibiotika-Infusionen erhalten. Verzweifelt rief sie an und bat um naturheilkundliche Hilfe. Meine Empfehlung lautete, hildegardische ölige Rebtropfen zu besorgen. Diese müssen mehrmals täglich rund um das betroffene Ohr eingerieben werden. Die Patientin beschrieb nach kurzer Zeit einen durchschlagenden Erfolg: die Schmerzen hatten nach den ersten Einreibungen deutlich nachgelassen. Die Mittelohrentzündung klang ab, und die Kontrolle des Hörtestes ergab normale Werte.
Eine weitere sehr erfreuliche Entwicklung nahm der Verlauf einer Patientin mit starkem Schwangerschaftserbrechen. Sie hatte bereits eine Palette von naturheilkundlichen Mitteln erfolglos angewandt.

Etwas zaghaft machte ich sie mit der Möglichkeit des Bibernellmischkekse-Backens bekannt. Die meisten Ratsuchenden wollen ja fertige Arzneimittel und nicht selber ans Herstellen gehen. Doch sie hatte hohen Leidensdruck und ließ sich darauf ein. Hildegards Rezept lautet:
„Wer an Übelkeit leidet, nehme Kümmel, ein Drittel davon Pfeffer und etwa ein Viertel vom Kümmel der Bibernelle, pulverisiere das, nehme reines Semmelmehl und gebe dieses Pulver in das Mehl. Er mache mit Eidotter und ein bisschen Wasser Küchlein, entweder im heißen Ofen oder unter heißer Asche und esse diese Küchlein, aber er kann das erwähnte Pulver auch auf Brot gestreut essen. Denn wenn die Kälte des Kümmels und die Kälte der Bibernelle und die Kälte des Eidotters sich mit der Wärme des Pfeffers und der Wärme des Semmelmehls vermischen, sich durch die Sanftheit des Wassers verbinden und durch die milde Hitze des Ofens, wie oben gesagt, gegart werden, unterdrücken sie die krankhaft heißen und krankhaft kalten Säfte, die dem Menschen die Übelkeit bringen.“ CC 417

Obwohl im Text nur allgemein „Übelkeit“ steht, half diese Rezeptur und linderte die hormonell ausgelösten Beschwerden der Schwangeren.

Die Wechseljahre sind ein weiterer wichtiger Zeitraum im Leben einer Frau. Circa zwei Drittel der Frauen haben leichtere oder auch starke Beschwerden in dieser Zeit. Vegetative Beschwerden wie Hitzewallungen, Schlafstörungen, Blutungsstörungen können im Vordergrund stehen. Aber auch Stimmungsschwankungen und Depressionen und organische Beschwerden wie Hypertonie, Osteoporose, Tinnitus und Migräne können auftreten.

Gegen Hitze, Stimmungsschwankungen, Schlafstörungen und Blutdruckproblematiken ist der hildegardische Aderlass ein sehr bewährtes Mittel. Dieser wird an einem der ersten sechs Tage nach Vollmond im nüchternen Zustand durchgeführt. Hildegard beschreibt, dass durch diese Blutreinigung die Blutgefäße von Schleim und den durch die Verdauung entstehenden Fäulnisstoffen befreit werden. Beim richtig durchgeführten Aderlass muss das austretende venöse Blut an der Armbeuge abfließen ohne angesogen zu werden. Wenn das mit Stoffechselprodukten belastete dunkle, fast schwarze Blut abgeflossen ist und das reine hellere rote Blut folgt, hört man mit der Abnahme auf. Das sind meist 50-90 Milliliter und keine Liter wie in den schlimmen Zeiten des Mittelalters. Einige Menschen haben die Aderlass-Exzesse dieser Periode noch vor Augen und deswegen Vorbehalte. Doch wer die guten Wirkungen einmal erfahren hat, kommt wieder. Nach dem Aderlass ist es empfehlenswert, eine Kur mit dem Hirschzungenfarnelixier anzuschließen. Die heilige Hildegard schreibt in der Physica 1-30: „Hirschzunge ist warm und hilft der Leber und der Lunge und den schmerzenden Eingeweiden.“

Ich habe eine positive Wirkung des Elixiers auf Hitzewallungen, Schlafstörungen und Stimmungsschwankungen beobachtet. Ich empfehle dreimal täglich ein Likörglas nach dem Essen.
Wer sich darauf einlässt, ist natürlich auch noch gut beraten, wenn er sich mit der Ernährung nach Hildegard befasst.

Einmal im Jahr biete ich das Fasten nach Hildegard in Gruppen in meiner Praxis an. Hier haben die Patientinnen die Möglichkeit, den Dinkel und die Gewürze der Hildegard kennen zu lernen und sich mit dem Thema „das rechte Maß in meinem Leben finden“ zu beschäftigen.
Ein häufiges Problem in den Wechseljahren sind starke Blutungen (Fachbegriff Metrorrhagien). Manchmal muss man sogar eine Ausschabung durchführen. Doch vor solch einer Entscheidung lohnt sich ein Versuch mit dem Betonikawein:
3 EL Betonikakraut klein hacken, über Nacht in 1 Liter Wein legen und 3-mal pro Tag ein Likörglas davon trinken.

Bei Unruhezuständen und depressiven Verstimmungen haben sich zwei Mittel bewährt: der gelöschte Wein und das Aronstabwurzel-Elixier. Für den gelöschten Wein lässt man 1 Glas Wein 1 Minute aufkochen bis es Blasen gibt. Dann nimmt man ihn vom Feuer und löscht ihn mit einer halben Tasse Wasser. Das Ganze dann schlückchenweise am Abend trinken.

Über den Aronstab schreibt Hildegard: „Und ein Mensch, in dem die Melancholie wächst, der hat ein finsteres Gemüt und ist immer traurig. Und dieser trinke oft den Wein mit der gekochten Aronwurzel und sie mindert die Melancholie in ihm, das heißt sie verschwindet, wie auch das Fieber.“ (Physica 1-49)

Berührend fand ich auch die Rückmeldung einer Patientin, die nach einer sehr anstrengenden beruflichen Phase eine doppelseitige Lungenentzündung erlitt und nach dem Krankenhausaufenthalt über einen Tinnitus klagte. Sie ließ sich daraufhin ein, den Jaspisstein in Form einer passenden Olive an den Ohrgang zu binden. Später berichtete sie zwar nicht von einer kompletten Heilung, aber von einer wie sie sagte „tröstenden Linderung“ ihrer Ohrgeräusche. Es gibt weitere Hildegard-Mittel, die man ausprobieren könnte wie gekochtes Gundelrebenkraut als Kopfumschläge oder im erhitzten Topf geschmolzenes Kirschbaumharz auf Roggenbrotbröckchen gestrichen und nächtlichen Umschlag um Ohren und Schläfe.